Sonntag, 26. März 2017

Das Rezept? Resilienz!


In letzter Zeit wurde ich oft gefragt, wie ich mich mental auf einen Ultralauf wie "Mauna to Mauna Ultra" mental vorbereite. Bei solchen Läufen ist das Verhältnis zwischen physischer und psychischer Leistung etwa 40 zu 60%. Das heisst, der Kopf spielt die grösste Rolle: will der Kopf nicht mehr, können auch die am Besten trainierten Beine nicht weiter laufen. Es ist deshalb fundamental, auch die sogenannte Resilienz zu trainieren: ein Begriff, der aus den Materialwissenschaften stammt (für die Definition von Resilienz siehe am Schluss des Beitrags). In der (Sport-)Psychologie ist die Resilienz die psychische Widerstandsfähigkeit. Der Kopf muss immer wieder in den Ausgangszustand zurückkehren, um die geforderte Leistung zu erbringen, er muss deshalb bestimmte Situationen abrufen. Fertig mit der Theorie: ihr wollt Beispiele haben.

Resilienz-Beispiele

In der Atacama-Wüste, lange Etappe von 90 km, Mittagshitze 40 Grad, 7 Kg auf dem Rücken, noch 50 km zu laufen. Die Versuchung, einfach abzusitzen und die Abendkühle abzuwarten, geht plötzlich durch den Kopf. Andere Läufer halten an, ihr Kopf sagt ihnen das Gleiche. Also: Ausgangszustand einschalten. Was kann ich machen? Ich schaue herum und sehe die Anden mit schneebedeckten Gipfeln in der Ferne, ich schaue am Boden und sehe die Salzkruste, weiss wie Schnee.



Die Salzkruste in der Atacama-Wüste erinnert an Schnee
Was assoziert der Kopf? Schnee = Alpen = Schweiz = Engadin= Frische. Plötzlich ändert sich der warme Wüstenwind in den Malojawind, ein bisschen Wasser aus den Bidons auf den Armen spritzen und schon fühle ich mich erfrischt, habe wieder Energie: der Gedanke, abzusitzen, ist verschwunden.
Ein anderes Beispiel: kilometerlange staubige Geraden in der Gobiwüste oder in der Sahara oder auch in der Nähe des Grand Canyons, langweilig, die Km gehen trotz einem Tempo von ca. 7 km/Stunde nur (gefühlt) langsam vorbei. All 200 m eine kleine rosarote Fahne, die die Richtung bestätigt. Also: Fähnleine bis auf 50 zählen (= 10 km!) oder die Schritte  bis zur nächsten Fahne zählen oder an die rosaroten Pfosten am Rand der Winter-Wanderwege auf den Oberengadiner Seen denken.



Als Ablenkung: sich an die rosaroten Winterwanderweg-Pfosten erinnern

Resilienz-Training

Solche Reaktionen entstehen nur ausnahmsweise erst in einer schwierigen Situation, sie müssen bereits zu Hause angedacht und geübt werden.
Ein aktuelles Beispiel: heute auf einem Aufstieg von 600 Höhenmetern. Ich begegne einem Italiener, eingepackt wie als ob er am Nordpol wäre. Er ohne Rucksack, ich mit schwerem Rucksack. Er hängt sich an. OK, dann simulieren wir eine Wettkampf-Situation, ohne dass er dies weiss. Er meint sicher, ohne Rucksack könne er mir einfach folgen. Also: schnell Schrittfrequenz erhöhen, eine Lücke bildet sich. Dann kurz verlangsamen, er kommt ran - hopp, nochmals aufdrehen. Ein paar mal dieses Spiel und schon bin ich oben auf der Alp Munt - alleine! Diese Situation werde ich in Zukunft bei Bedarf abrufen können.

Auf dem "Höhepunkt": Alp Munt
Heute habe ich übrigens einen Tipp der Triathletin Daniela Ryf versucht anzuwenden, den sie in einem sehr lesenswerten Interview im gestrigen "Magazin" verraten hat: Augen 5 Sekunden schliessen und aufdrehen. Nur: diesen Tipp wendet sie auf der Strasse an - auf einem aufsteigenden Wanderweg führte der Versuch zu einem Stolper ... Daniela Ryf und Nicola Spirig erzählen in diesem Interview von ihren Schmerzgrenzen. Ich muss gestehen: solche Schmerzgrenzen habe ich vermutlich nie erreicht. Erstens sind meine Läufe sehr sehr lang, an die Schmerzgrenze zu gehen ist es unmöglich, am nächsten Tag steht wieder eine Etappe an. Und zweitens habe ich keine Siegerambitionen. In erster Linie steht bei mir der Spassfaktor.
Ich könnte übrigens auch die Erholung zwischen den einzelnen Etappen trainieren: zum Beispiel wie schlafe ich in einem Zelt zusammen mit neun schnarchenden Läufern, um am nächsten Tag wieder startbereit zu sein? Nein, darauf verzichte ich - ich nehme einfach Ohrstöpsel mit und vertraue auf meine gesunde Müdigkeit, um einigermassen schlafen zu können.



Zusammen mit einer Mentaltrainerin habe ich eher Bilder erarbeitet, die ich während einer schlaflosen Nacht abrufen kann: ich könnte Schafe zählen, visualisiere jedoch eher Wellen in einem See oder vorbeiziehende Wolken. Jedem das Seine.
Der Phantasie sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Einfach bei jeder Trainingseinheit sich etwas ausdenken, und schon wird die Resilienz-Trickkiste grösser!


Smile!

Oft wende ich jedoch eine ganz einfache Methode: ein Lächeln. Lachen lässt Sorgen und Schmerzen verschwinden - und beeindruckt die anderen Läufer. So habe ich auch schon mal auf der Unterseite meiner Dachkappe einen Smiley gezeichnet: einfach hoch schauen, und schon habe ich jemanden, der ein Lächeln in mir auslöst.
RUN AND SMILE!


Definition von Resilienz (Wikipedia)
Resilienz (Materialwissenschaften), Fähigkeit eines Materials, nach einer elastischen Verformung in den Ausgangszustand zurückzukehren; Resilienz (Ökosystem), Fähigkeit eines Ökosystems, nach einer Störung zum Ausgangszustand zurückzukehren

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